Die alte INTERFLUG im www
Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG

last updated:
17.09.2016


Revision 3.0
Verbleib der TU-134

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Verbleib der TU-134A-Flotte der Interflug

Komirepublik Lage der Komi-Republik

Als die Interflug am 30. April 1991 ihren Flugverkehr einstellte, gehörten ihr neben Flugzeugen vom Typ IL-18, IL-62 und A 310 auch 16 Flugzeuge TU-134A. Weitere 2 Flugzeuge dieses Typs mit den alten DDR-Kennzeichen DDR-SDH und DDR-SDI waren im Besitz des Ministeriums für Staatssicherheit, wurden aber von der Interflug technisch betreut und instand gehalten. Diese gesamte Flotte von 18 Flugzeugen stand bei der Liquidierung der Interflug zum Verkauf an und der einzige Interessent war die sowjetische Aeroflot, damals noch landesweit eine einheitliche Organisation mit zahlreichen Gebietsverwaltungen. Den Zuschlag für diese „repatriierten“ Flugzeuge innerhalb der Aeroflot erhielt die Verwaltung der Zivilluftfahrt der „Autonomen Komi SSR“, die ab 26.5.1992 in „Republik Komi“ umbenannt wurde. In Deutschland ist diese, nordwestlich von Moskau gelegene Republik kaum bekannt, obwohl ihre Fläche 1,1mal größer als die Bundesrepublik ist. Neben der Verkehrssprache Russisch sprechen die Ureinwohner, die ca. 25% der Bevölkerung ausmachen, eine finnisch-ugrische Sprache, verwandt also mit dem Finnischen und dem Estnischen. Die Republik hat keinen Präsidenten, sondern ein „Glawa“, also ein „Oberhaupt“.
Der Liquidator der Interflug mit seinem Team war daran interessiert, alle Flugzeuge möglichst schnell vom Hof zu bekommen. In der Zeit vom 6.12.1990 bis 15.10.1991 wurden diese 18 TU-134A in zwei Etappen (3 Flugzeuge bereits im Dezember 1990, die anderen 15 ab August 1991) an Vertreter der Komiavia in Berlin übergeben. Vor der Übergabe führte die Flugtechnik der Interflug einen speziellen, in seinem Umfang vereinbarten Übergabecheck mit Behebung aller Beanstandungen durch und die Komi-Spezialisten bewerkstelligten die Abnahmeprüfung. Ein Abnahmeprotokoll besiegelte die Übergabe.
Protokollunterzeichnung Bild 1 Protokollunterzeichnung Bild 2
Diese Aufnahmen entstanden bei der Übergabe des letzten Flugzeuges am 15.10.1991.
Herr Wesch von Komiavia (links) und der Autor (rechts) unterzeichnen das Protokoll.
Auf den folgenden 3 Bildern die Teilnehmer an der letzten Übergabe
Technik Delegation Crew
Wartungspersonal der Interflug alle Teilnehmer der Übergabe- und Übernahmeaktion die Überführungsbesatzung
Mit wehenden Interflugfahnen wurde unsere letzte TU, die aber schon nicht mehr uns gehörte, zum Start begleitet und allen war sehr wehmütig um’s Herz, denn anschließend konnten wir in der Flugtechnik überall das Licht ausmachen.
Begleitung zum Start Bild 1 Begleitung zum Start Bild 2
Die Flugzeuge wurden mit Zwischenlandung in Moskau in die Komi-Haupstadt Syktyvkar überflogen. Nur das zuletzt übergebene Flugzeug DDR-SCR flog, vollgetankt von oben bis zum Stehkragen, direkt nach Syktyvkar. Ob überhaupt und wie viel Geld für die Flugzeuge in die Bundeskasse geflossen ist, wurde mir nicht bekannt.
letzter Start in Berlin
Letzter Start der DDR-SCR bzw. D-AOBF nach Syktyvkar

1997 wurde die Komiinteravia mit allen Verkehrsflugzeugen aus der Komiavia ausgegründet, bei dieser verblieben der Flughafen und die Hubschrauberflotte.

Komiinteravia Bild 1
Komiinteravia

Interessant, dass der schräge Schriftzug КОМИИНТЕРАВИА sich bewusst an die Schriftgestaltung INTERFLUG anlehnt.

Erich Mielkes ehemalige DDR-SDH, jetzt als 65606 mit VIP-Ausstattung – siehe Bilder oben und rechts.
VIP

2006 schluckte die zu den 5 größten russischen Fluggesellschaften gehörende UTair die Komiinteravia und benannte sie in „UTair-Express“ um.
UTAir
Die ehemalige DDR-SCS, jetzt als 65614 in UTair-Bemalung

Neuerdings betreibt die UTair neben „vaterländischen“ Typen Boeing 737-400/500, B 757-200, ATR-42/72 und CRJ-200. Der letztgenannte Typ wurde von Lufthansa CityLine gekauft.
Mit den CRJ-200 hat UTair offensichtlich bei den rauen russischen Winterbedingungen und dem schlechten Zustand der Start-und Landebahnen in der Provinz viele Ausfälle und große Probleme mit der Einsatzbereitschaft, sodass die robustere TU-134A häufig die Situation retten muss. Das rechtfertigt deshalb bis auf Weiteres ihren Einsatz.

Trotzdem ist zu erwarten, dass über kurz oder lang die Tage der TU-134A gezählt sind und die Aussonderung schnell voranschreiten wird, so wie es momentan nach zahlreichen Havarien und Unfällen der TU-154M ergeht.

Im Oktober 1991 wurde ich von der Leitung der Komiavia zur Klärung einiger Fragen nach Syktyvkar eingeladen und machte meine letzte Dienstreise als Interflug-Mitarbeiter. Ich hatte die Gelegenheit, die technische Basis der Komiavia zu besichtigen und Land und Leute kennenzulernen.
Ich überzeugte mich, dass dort kompetente Spezialisten mit Lust und Liebe die Wartung betreiben und unsere ehemalige TU-134A-Flotte damit in guten Händen ist. Komiavia organisierte auf meinen Wunsch einen Flug nach Workuta, eine Stadt hinter dem Polarkreis, bekannt durch seine Bergwerke mit vorzüglicher Kohle und berüchtigt durch die zu Stalins Zeiten angegliederten Gulags.

Hier wurden auch zwei ehemalige Interflug-Mitarbeiter, Kurt Neumann und Richard Neumann, die als deutsche Kommunisten vor der Hitlerdiktatur in die UdSSR geflohen waren, mehrere Jahre unschuldig als angeblich deutsche Spione interniert.

Kurt Neumann
Richard Neumann
Kurt Neumann ( links) und Richard Neumann (dritter von rechts, mit Brille) im Klubhaus der Interflug bei einer Feier zum Jahrestag der Oktoberrevolution


Über Kurt Neumann hat Jörn Lehweß-Litzmann in seinem Buch „Die Gründer der DDR-Luftfahrt“ berichtet. Richard, nicht mit Kurt verwandt, hatte es als gelernter Friseur im Gulag vielleicht etwas leichter, da er teilweise in seinem Beruf arbeiten konnte und keine Schwerstarbeit im Schacht verrichten musste. Aber schon die äußeren Bedingungen in dieser trostlosen Gegend sind unvorstellbar hart. Frost von 40-50 Grad ist keine Seltenheit, und um im Schneesturm überhaupt nach Hause zu finden, sind viele Häuser untereinander mit Seilen verbunden.

Harald Franke
Ein Hubschrauberrundflug ermöglichte mir einen Blick auf das, was heute dort noch von den Lagern zu sehen ist, meist nur verfallene Baracken. Ein bescheidenes Denkmal erinnert an die Opfer und ihre Leiden.
Die Inschrift auf der Tafel des nächsten Bildes lautet: „An diesem Platz wird ein Denkmal für die Opfer des Personenkultes 1920 – 1950 errichtet werden“. Ob das inzwischen erfolgt ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Inschrift wirft auch sonst Fragen auf: Stalin starb 1953 und der Kult um ihn endete nicht 1950. Die Lager für politische Gefangene wurden in Workuta 1938 eingerichtet und existierten bis mindestens 1960.
Rentiere
Rentiere gab es in Workuta auch.
Denkmal
Denkmal für die Opfer des Personenkultes in den Gulags.
Auf dem Hinflug nach Workuta bat mich der Captain ins Cockpit und überreichte mir eine Plakette aus Anlass des Polarkreis-Überfluges. Später wurde in diese noch Datum und Uhrzeit eingraviert. Auf diesem Flug sah ich auch erstmals die wabernde, beeindruckende Pracht des Nordlichts.
Medaille vorn Medaille hinten
Zum Andenken an den Überflug des Polarkreises
H. Franke, 13.11.91, Flug-Nr. 8886, 20.55 Moskauer Zeit
Zum Schluss hier die Übersetzung der Tabelle über den Verbleib der TU-134A der Interflug.
Sie wurde vom Chefingenieur der Komiinteravia bzw. der UTair-Express, Sergey Yeryomin, zusammengestellt.


Schicksal der Flotte ТU-134А des LVU «INTERFLUG», die von der Republik Komi erworben wurde

  Flugzeugkennzeichen Werknummer         D a t u m Betriebsdaten seit Inbetriebnahme, Fh / Flüge Stand vom    
UdSSR DDR BRD Herstellung Übernahme Komi  Bei Übern. Aktuell  In der  05.10.2009 
RF 05.10.2009 RF  
1 65605 SCU AOBI 9070 110574 61290 19871 11789   0 An Werk 407 (Minsk)
0 Verkauft  1991
2 65606 SDH AOBR 46300 290376 211290  6373
3915
10622
4249 An Firma „Tupolew“
6051 2136 verkauft 28.06.04
3 65607 SDI AOBS 48560 270876 271290  5924
3761
20511 14587 GIS 24.04.00, 17.05.07
Neues Interieur 
11903 8142
4 65608 SDE AOBO 38040 180975 130991 10570
6838
22441  11871 Verkauft TAT-Leasing 2002,
GIS 2003, UTair
13877 7039
5 65609 SDG AOBQ 46155 290276 210891 6064
5168
25782 19718 GIS 10.06.04
15543 10375
6 65610 SDF AOBP 40150 201075 100991 11795
7510
19151 7356 Verkauft an Atyrau aue Zholy 2000 
12122 4612
7 65611 SCI AOBA 1903 70573 60991 21279
12989
38115 16836 GIS 16.08.97, 04.08.06
21848 8859
8 65612 SCN AOBC 2102 201173 270991 19244
11519
31321 12077 Außerdienststellung
18941 7422 23.08.04 wegen ELZG
9 65613 SCO AOBD 2106 181273 121091 16553
9755
33623
17070 Verkauft an „AFES“ 1999, UТair seit 2007
18630 8875 Außerdienststellung
10 65614 SCS AOBG 2207 110374 30991 16839
9862
38097 21258 GIS 06.06.03,
20905 11043 42.008
11 65615 SCP AOBE 2205 280274 111091 17987
10772
22268 4281 Verkauft an „Sibavia-Trans“ 2000 
13241 2469
12 65616 SCR AOBF 2206 110374 151091 16545
9876
34981 18436 GIS 21.07.03
20166 10290 Außerdienststellung
13 65617 SCT AOBH 8068 170574 270891 21118
12501
24792
3674 Katastrophe  24.06.95 in Lagos, Nigeria
15697 3196
14 65618 SCV AOBJ 12095 120774 300891 21524
12775
41623 20099 GIS 27.04.04
23633 10858 Außerdienststellung
15 65619 SCW AOBK 31218 220575 300991 12770
7731
18218
5448 Verkauft an Atyrau aue Zholy 2002
10998 3267
16 65620 SDC AOBN 35180 300675 230891 12058
7456
29813 17755 GIS 23.02.01, 17.08.07 Neues Interieur
17436 9980
17 65621 SCX AOBL 48320 310376 240991 19999
11628
39513 19514 GIS 30.01.03,
21933 10305 52.008
18 65622 SCY AOBM 60495 160678 190991 16218
9003
30739
14521 Verkauft an “Alaniya“1998,
UTair seit2007
16763 7760
19 65565 SDT 11+13 63998 190383     15976   GIS 24.05.06,
8552 UTair seit 2007

*Als erstes von 3 Flugzeugen wurde 1990 die 65605 (06.12.90) übernommen,als letztes die 65607 (27.12.90).

*Als erstes von 15 Flugzeugen wurde 1991 die 65609 (21.08.91) übernommen, als letztes die 65616 (15.10.91).

*Von den erworbenen 18 Flugzeugen wurde eines bei einer Flugzeugkatastrophe verloren, 8 wurden an andere Luftverkehrsunternehmen (LVU) verkauft, 1 Flugzeug (65612) wurde wegen des Erreichens der Einsatzfrist zwischen den Grundinstandsetzungen (GIS) von 8000 Fh und der festgelegten Kalendereinsatzfrist von 30 Jahren und 7 Monaten außer Dienst gestellt.
Wegen des Erreichens der Einsatzfrist zwischen den Grundinstandsetzungen von 8000 Fh, der ökonomischen Unzweckmäßigkeit einer GIS und des erhöhten Arbeitsaufwandes zur Verlängerung der Einsatzfristen infolge starker Korrosion wurden die Flugzeuge 65613, 65616 und 65618 im Oktober 2009 aus dem Betrieb genommen und der Prozedur der Außerdienststellung unterzogen.

*Von den in der Komi-Republik verbliebenen 8 Flugzeugen wurden 2 mit vollständig neuem Interieur ausgestattet, mit Einführung der Business-Klasse und dem Einbau einer automatischen stationären Sauerstoffanlage für die Passagiere und die Besatzung.

Die Flugzeuge 65606, 65608, 65610 und 65619 erhielten vor dem Verkauf im Reparaturwerk 407 eine GIS mit vollständiger Erneuerung des Interieurs und Umrüstung für VIP-Beförderungen nach der Dokumentation des Konstruktionsbüros Tupolew.

* 65607 – rot gekennzeichnete Flugzeuge, deren Lufttüchtigkeit durch den Syktyvkarer Luftfahrttechnischen Betrieb gesichert wird.

*Während der gesamten Betriebsdauer der Flugzeuge in Russland haben die durch den Syktyvkarer Luftfahrttechnischen Betrieb gewarteten Maschinen (außer 65565) mit Stand vom 05.10.2009 228750 Fh und 126627 Flüge absolviert (durchschnittliche Dauer eines Fluges – 1h und 48min.). Die Maximalflugstundenzahl hat das Flugzeug 65614, die minimale Zahl die 65606 (als VIP-Flugzeug umgerüstet).

Anmerkung vom Autor des Artikels: Das Flugzeug 65565 (DDR-SDT) gehörte nicht der Interflug, sondern der Regierungsstaffel der DDR. Es wurde auch nicht 1991 von IF an die Komi-Republik übergeben, sondern zusammen mit den TU-134A der NVA DDR–SDS, -SDR und –SDU von der Aeroflot übernommen und kam später zur UTair.

Harald Franke, Berlin, 16.02.2011

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